Samstag, 16. Juli 2011

Etappe 16 (16.7.2011) Das Zauberland und seine Leute



Trollhättan – Karlstad

Eines mal vorweg – wir hätten allein heute schon einen dicken Fotoband herausgeben können, hätten wir sämtliche potenzielle Fotomotive auch geknipst. Dann hätten wir allerdings auch den gesamten Tag mit der Kamera vorm Gesicht verbringen müssen. Dass uns Schweden gleich zu Beginn so dermaßen mit seiner Schönheit und perfektem Radlerwetter mit 12°C Minimal - und 20°C Maximaltemperatur erschlägt… Wir hatten mit viel gerechnet, aber was wir hier sehen und erleben dürfen toppt so ziemlich alles. Die Bilder, die wir in uns aufnehmen sollen aber nicht unser hauptsächlicher Bezugspunkt dieses Tages sein. Probiert einfach, eure Augen zu schließen und dann an schwedische Landschaften zu denken – was ihr sehen werdet, ist was wir sehen. Ob es nun die wie ein einziger Zauberwald anmutenden Mischwälder sind oder doch die riesigen Urgesteine (nein, nicht die auf den Rädern…) auf den weiten Wiesen. 

Wir wollen uns auf die Menschen und die Kultur dieses Landes konzentrieren, auf die Begegnungen die wir Tag für Tag erleben dürfen. Bereits in Trollhättan durften wir den Feierlichkeiten zum Öffnen der Schleusentore des örtlichen, historischen Flusskraftwerkes beiwohnen. Immer an diesen Tagen kann man dann den spektakulären Wasserfall Trollhättansfall in seiner gesamten Pracht bewundern.
Grinstad. Nabel der Welt. Eine Ortschaft, kaum länger als eines unserer Rennräder (wäre unser Begleitfahrzeug durchgefahren, hätte man schon die Nachbardörfer eingemeinden müssen…) und doch an diesem heutigen Tag belebter als man es für möglich halten würde. Unser Team platzte mitten in eine bunte Feier hinein, deren Sinn sich bald eröffnen würde. Grinstad, an sich kaum mehr als zwei Ortstafeln, eine Straße und ein paar Bäume, feierte das Jubiläum seines örtlichen Gemischtwarengeschäfts. Die „glorreichen Drei“ wurden auch hier wieder wie alte Freunde empfangen, sofort mit Kuchen und Tee versorgt ohne auch nur mit der Wimper zu zucken… Schwedische Gastfreundschaft – geht nicht besser! Die beiden Betreiber des kleinen Geschäfts griffen für die Feierlichkeiten zu sämtlichen Tricks aus der berühmten Kiste – Pferdereiten, eine in würde ergraute Band von Herren im gewissen Alter und das besondere Highlight: Wassersackwerfen. Ein mit Wasser gefülltes Plasticksackerl muss dabei möglichst zielgenau in vorbereiteten Kübel geworfen werden. Aber Achtung, zuknoten ist nicht erlaubt. Komplizierter als man denken würde. 

Nach einem gefühlten Anstieg auf die steirische Tauplitz (gedanklich über 1000m Seehöhe…), es waren tatsächlich wahrscheinlich maximal um die 120m,plötzlich die deutsche Sprache von offensichtlichen Muttersprachlern zu vernehmen ist ein nicht gerade unangenehmes Gefühl. Mehr oder weniger per Zufall kamen unsere Radler mit einem Ehepaar aus Nordrhein-Westfalen ins Gespräch, das seit mittlerweile bereits vier Jahren im Land der Elche und Seen lebt. Zwar vermissen die beiden zusammen mit ihrem Golden Retriever Gina (hatte besondere Freude an verschwitzten Radlerbeinen…)  in Liljedal wohnhaften auch ihre deutsche Heimat und vor allem die rheinische Kultur von Zeit zu Zeit, bereuen ihre Entscheidung zum Auswandern aber trotz allem nicht. An dieser Stelle möchten wir ihnen noch einen schönen Gruß ausrichten und uns für das nette Gespräch bedanken!

Sicherheit ist die Mutter der Porzellankiste
 
So schön das liebliche Antlitz Schwedens uns auch entgegengeblickt haben mag, so interessant auch die Menschen bisher gewesen sein mögen, für einen Radfahrer gibt es hier einiges an Problemstellungen zu bewältigen. Dies wurde heute auf der als „Inlandsvägen“ („Inlandsweg“) bekannten Straße E 45 mehr als deutlich. Wir können nach unseren heutigen Erlebnissen nur jedem dem wir auf etwas ähnliches in diesem Land Lust gemacht haben sollten eines dezidiert raten: Informiert euch über die Straßenführung, wie es nur geht. Nicht dass wir völlig ins Blaue gefahren wären, nur das Verkehrsaufkommen und die sehr enge Streckenführung entlang der E45, die das gesamte Land von Nord nach Süd durchzieht, haben uns dann doch ein wenig überrascht. Diese Straße ist für den Radler ein etwas zweischneidiges Schwert – ein Mal passabel und machbar dort zu fahren, ein anderer Abschnitt kann dann aber schon wieder katastrophal (gerade mal 30 cm breite Seitenstreifen) sein. Kartenstudium ist hier absolut essentiell, wenn möglich sollte man den Inlandsvägen wirklich nur dann befahren, wenn sich keine einigermaßen vernünftigen Alternativen ergeben. 

Generell haben wir diese Reise unter die Maxime „Erst kommt die Sicherheit!“ gestellt. Niemandem ist damit gedient, wenn wir auf Biegen und Brechen (zuerst biegt sich ein Knochen, dann bricht er…) und unter allen Umständen, völlig falschem Ehrgeiz folgend einfach drauflos fahren würden. Unsere Vorgedanken was das sichere Ankommen anbelangt beginnen bei entsprechenden Vorkehrungen am Begleitfahrzeug, wie Blinklicht und Warntafeln in allen Landessprachen der Staaten die wir durchqueren, und geht über das Verhalten der Radler an sich: Keine riskanten Talabfahrten um den Temposchnitt hoch zu treiben, bei extremen Wetterlagen (Sylt und Dänemark lassen grüßen) das Auto stark mit einzubeziehen,  und eben auch diverse Arbeitsschritte überlegt und unaufgeregt durchzuführen.

Gerade das Berg – und Talfahren mit dem Rad birgt Gefahrenpotenzial wenn man es nicht richtig angeht. Bergab ist Vorausschauen wichtig, bremsbereit und mit Gefühl zu fahren. Bergauf ist der Abstand zum Vordermann wichtig, sollte dieser plötzlich schalten und seine Fahrt verlangsamen, muss man unbedingt noch Platz zum reagieren haben!  

Wenn man als Gruppe Rennradfahrer unterwegs ist gibt es ebenso eine lange Liste an Aspekten, die wenn man sie beachtet entscheidend zur Gesamtsicherheit beitragen können. Von entscheidender Wichtigkeit ist die Kommunikation im Pulk, verbaler oder nonverbaler Natur – so bedeutet beispielsweise eine gehobene Hand (links oder rechts) „Achtung! Ich bleibe stehen!“ oder ein ausgestreckter linker oder rechter Zeigefinger wird als Zeichen verwendet, ein vorhandenes Hindernis zu verdeutlichen. Ein aus dem Sattel gehen hingegen spricht für eine entspannte Fahrt. Sollte man doch zu verbalen Hinweisen greifen müssen, so ist es unbedingt erforderlich dass diese kurz, prägnant und vor allem unmissverständlich sind, z.B.: Achtung!, Vorsicht!, Stop!, Links!, Rechts! und dergleichen. Meiden wie der Teufel das Weihwasser sollte man schwammige Formulierungen wie „Geht nicht!“ – wenn der Teamkollege das „nicht“ wahrnimmt, kann es schon zu spät sein… 

Ein nebeneinander fahren darf es sowieso nicht geben, im Gegenteil man bleibt strikt hintereinander, sogar in engsten Abständen (bis zu 5 cm). Disziplin und Konzentration von Kilometer eins bis 240 ist vonnöten, um seine Hintermänner nicht mit unvorhersehbaren Manövern in Gefahr zu bringen.

 Im konkreten Fall des Rennradfahrers muss man außerdem nach der Maxime „Rennräder lieben Straßen“  gehen – in Ortschaften zieht man die Straße dem Radweg vor, um zu vermeiden dass aus Hausausfahrten die eine oder andere böse Überraschung kommt… Gibt es neben den Landstraßen passende Nebenstrecken, so nimmt man natürlich trotzdem diese. Das selbe gilt für Benutzer von Fahrradclips – zwar ermöglichen diese das Treten und Ziehen der Pedale, aber man ist halt auch mit dem Rad direkt verbunden, und muss vor allem in Ortsgebieten darauf achten, immer mit dem Absteigfuß bereit zum halten zu sein. 

Über die Helmpflicht ist sowieso keine Diskussion zu führen, unsere Radler machen ohne den „Deckel“ nicht einen einzigen Meter. 

Nur wer selbst schon einmal auf dem Radl sitzend auf einer stark befahrenen Straße von einem LKW überholt wurde weiß wie sich das anfühlt – und dennoch, ich denke ihr zuhause braucht euch keine Sorgen um uns zu machen. Mir müssen niemandem beweisen was wir nicht für „Harte Hunde“ sind (… weil wir das schon lange wissen ;) ). Was hätten wir davon, für hohes Risiko auch einen hohen Preis zu bezahlen? So dumm ist garantiert keiner in diesem Team.  Und genau das ist der Grund warum wir uns jede Sekunde sicher sind, dass wir unser Ziel erreichen werden. Ob einen Tag früher oder später, darauf soll’s uns nicht ankommen.

Mit Sicherheit verabschieden wir uns jetzt auf alle Fälle ins wohl verdiente Bettchen (bzw. in die Schlafsäcke) und wünschen auch euch zuhause eine gute Nacht!

Liebe grüße
Euer Team Nordkap 2011

P.S.: Heute hatten wir wieder gutes Radwetter, aber wir rechnen mit einer baldigen Verschlechterung, die uns wohl vor Herausforderungen stellen wird… Also bleibt dabei und seht, wie es weitergeht! Würde mich freuen wenn wir uns bald wieder lesen!

Datum
Gefahrene Strecke
Nettozeit
Durchschnittsgeschwindigkeit
Aufgestiegene Höhenmeter
Verbrauchte Kalorien
16.7.2011
193 km
07:04 h
26,8 km/h
979 m
4700 kcal

Die Auswanderer aus NRW, die wir quasi zufällig treffen durften. Liebe Grüße und bitte lest diesen Blog! :)

Jubiläum in Grinstad, das Geschäft scheint nach wie vor gut zu gehen...


2 Kommentare:

  1. Liebe Radler, liebes Begleitteam!
    Es tut so wohl,euch dermaßen begeistert zu erleben und es freut mich sehr,dass ihr wieder bei gutem Wetter radeln könnt.Ich wünsche euch sehr,dass das so bleibt.Beruhigend ist,dass keiner von euch ein unüberlegter Draufgänger ist und ihr mit großem Verantwortungsbewusstsein an die Sache herangeht. Ihr müsst niemandem etwas beweisen,denn eure großartigen Leistungen sprechen für sich.
    Die nahezu enthusiastische Begeisterung des Bloggers über Schweden deutet fast daraufhin, dass er sich für sein Masterstudium eine Uni in Schweden suchen wird...
    Jakob, du schreibst wirklich super, es liest sich sehr spannend,informativ und unterhaltsam - das muss auch einmal von deiner Mutter gesagt werden!
    Liebe Grüße und weiterhin alles Gute für die 2.Hälfte eurer Reise!
    Jutta E.

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  2. Bin sehr begeistert, nur ganz traurig, dass ich nicht dabei bin. Ich habe das Land leider nur für einen Tag erlebt,auf einer Kreuzfahrt.
    Macht es weiterhin gut und schickt und so gute Berichte wie bis jetzt.Damit die Sehnsucht noch größer wird, dies alles selbst zu erleben, natürlich vom Auto aus und nicht vom Radsasttel. Den Radlern meine Hochachtung!
    Alles Liebe Nini und Figaro

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